Am 1. Februar fand ein ganz besonderes Benefizkonzert in der Finkenkruger Kirche statt: Ab 17.00 Uhr erklang der Liederzyklus „Winterreise“. Gekonnt interpretierten Anita Spiegelberg (Mezzosopran), Claus-Jürgen Wizisla (Klavier) sowie Jörg Romanski (Lesungen) Schuberts großes Werk – das letzte in seinem Leben.

Die Stimmung als Eindruck in Musik ausdrücken – von Schubert meisterlich verwirklicht und von den Interpreten in einmaliger Weise dargeboten: Der zutiefst traurige Winterwanderer, depressiv wegen der zerbrochenen Beziehung zu seiner Liebsten, der aus seiner Heimat weggeht und dessen Tränen im Schnee zu Eis gefrieren. Ständig wird er von einer Krähe auf seinem kalten, schweren Weg begleitet. Bei der Einkehr auf einem Totenacker, dem Wirtshaus, in dem keine Kammern mehr frei sind, klingen deutlich Selbstmordgedanken durch – ich werde den Gedanken nicht los, dass die mitfliegende Krähe wie ein Geier darauf wartet, dass sich der entkräftete Wanderer endlich und endgültig in den Schnee legt, um zu sterben. Mit den Strapazen einer solchen Reise verglichen, ging es den Zuhörern in der Finkenkruger Kirche recht gut, auch wenn die defekte Heizung etwas wenig geheizt hatte – vielleicht eine Fügung des Schicksals, um sich dem Wanderer in der Winterreise noch näher zu fühlen…

Was Schubert da aufs Notenpapier gebracht hat, ist unbeschreiblich. Man kann es einfach nicht beschreiben, man muss es hören – wie z.B das Bellen der Hunde und das Krah-krah der mitfliegenden Krähe geradezu handgreiflich aus dem Klavier ertönt. Sind diese teilweise sehr modern anmutenden Passagen tatsächlich von Schubert? Ich staune an vielen Stellen. Und außerdem – eigentlich ist das Ganze doch für Bariton gedacht – eignet sich dieses Werk überhaupt für eine Darstellung mit einer – doch weiblichen – Mezzosopranstimme? Fazit: Ja, es eignet sich! Anita Spiegelberg verstand es in der ihr ureigenen und unnachahmlichen stimm(ungs)gewaltigen und schauspielerischen Art, die Stimmungen auszudrücken und die Zuhörer in diese Stimmungen mitzureißen, tatkräftig unterstützt von Herrn Wizisla am virtuos gespielten Klavier. Die eingestreuten von Jörg Romanski sorgfältig ausgewählten gelesenen Texte taten noch ein Übriges dazu: Einige Zuhörer waren von der Musik so ergriffen, dass sie vor dem Applaus noch ihre nassgeweinten Papiertaschentücher zusammenknüllen mussten…

Giora Feidman sagte einmal: „Musik beginnt nicht mit dem ersten Ton, sondern mit der Stille davor. Und sie endet nicht mit dem letzten Ton, sondern mit dem Klang der Stille danach.“ Nachdem das letzte Lied “Der Leiermann“ verklungen war, wirkte diese Stille mit einer solchen Kraft im Raum nach, dass das vollkommen faszinierte und durch die Musik in eine andere Welt entrückte Publikum erstmal einen Moment brauchte, um wieder in der Wirklichkeit anzukommen, um dann dem nachhaltigen Eindruck in anhaltendem Applaus Ausdruck zu verleihen.

Sibylle Scholz