Wie fühlte sich früher die Passionszeit für mich an? Ich erinnere mich, dass in meiner Kindheit die Karwoche eine sehr stille Zeit war.
Im Radio wurde nur klassische Musik oder Kirchenmusik gespielt. Öffentliche Tanzveranstaltungen gab es in dieser Woche nicht. Am Karfreitag wurde im Fernsehen „Barrabas“ im Abendprogramm gezeigt. Heute merkt man am Fernsehprogramm nicht, dass die Protestanten ihrem höchsten Feiertag nachgehen. Höchstens an den Gottesdiensten, die gezeigt werden, kann man bemerken, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Freitag handelt.
In diesem Jahr habe ich alle drei Passionsandachten besucht und auch an der Tischabendmahlsfeier teilgenommen. Jeder Abend war ein Themenabend, der eine Person der Passionsgeschichte beleuchtete.
Eine Meditation zu Psalm 51 hat uns am Montagabend begleitet:
1 Sieh mich an, Gott, wie ich bin. Sieh mich an in deiner Güte.
2 Komm mir nahe, nimm mein Versagen von mir.
3 Befreie mich von meiner Schuld. Rechne meine Sünden nicht an.
4 Was ich falsch gemacht habe, trifft mich. Ich schließe nicht die Augen vor den Folgen meines Tuns.
5 Erschaffe in mir ein neues Herz, Gott, dass ich aufrecht gehe und in Verantwortung lebe.
6 Nimm deinen lebendigen Geist nicht von mir.
7 Stärke meinen Mut und meinen Verstand.
8 Öffne mir Herz und Mund, Gott, dass ich deine Güte singe.
Dieser Abend war Petrus gewidmet, einem der ersten Jünger Jesu. Petrus, der Sprecher der Jünger bzw. Apostel, erster Bekenner, aber auch Verleugner Jesu Christi. Die Worte Jesu beim Abendmahl „ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“, hat Petrus weit von sich gewiesen. So musste er erleben, dass sein Mut nicht ausreichte, sich zu Jesu in dieser Nacht zu bekennen. Die Worte Jesu wurden erfüllt, dreimal verleugnete Petrus seinen Herrn.
Kennen wir nicht alle Situationen, wo wir kleinlaut oder auch stumm nicht zu unserem Glauben gestanden haben, hinterher verzagt oder beschämt waren? Petrus hat seine Angst überwunden und wurde zum Fundament der christlichen Kirche.
Am zweiten Abend haben wir auf Ju-as Iskariot geschaut. Diesem Jünger Jesu, der für alle Zeiten mit dem Verrat an die Hohen Priester verbunden sein wird. Der Mann, der für dreißig Silberlinge seinen Herrn den Schächern übergeben hat. Warum hat er das getan? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt. Ich weiß nicht, was ihn dazu bewogen hat, Jesum mit einem Kuss zu verraten. Aber an diesem Abend wurde in einer Geschichte ein anderes Bild dieses Mannes gezeichnet, was mich nachdenklich gemacht hat.
Der dritte Abend schaute auf Pontius Pilatus. Er, der den Herrn zum Tod am Kreuz verurteilte. Gedrängt durch die Hohepriester, zweifelnd ob der Schuld Jesu, überlässt er dem Volk die Entscheidung zwischen Barrabas, dem Kriminellen, und Jesu. Einen von beiden kann er begnadigen. Das Volk entscheidet sich für Barrabas. Dieser Abend wurde untermalt durch den Posaunenchor unserer Kirchengemeinde.
Am vierten Tag haben wir bei einem Tischabendmahl dem letzten Abendmahl Jesu nachgespürt. Wie mag es gewesen sein in dieser Nacht, für die Jünger, für unseren Herrn???
Unser Herr wusste, was auf ihn zukam. Er wusste, dass die Menschen, die ihm am nächsten standen, ihn verleugnen und verraten würden. Er allein und verlassen sterben würde, um uns zu erlösen.
An allen Tagen hat uns das Lied „Holz auf Jesu Schulter“ begleitet. Aus dem Lied hat mich besonders die fünfte Strophe angerührt, die so gut in diese Zeit passt:
Denn die Erde jagt uns auf den Abgrund zu
Doch der Himmel fragt uns: warum zweifelst du
Renate Niehaus